Interview mit Coralie Clément

Copy Control Systems? Lächerlich!

Die kleine Schwester von Benjamin Biolay hat ihr zweites Album veröffentlicht und liebäugelt darauf ein wenig mit der Rockmusik. "Wie bitte?" mag da ein mancher denken - so auch wir. Grund genug, die Französin einmal zu befragen.



?: Hallo Coralie! discover ist ein rein webbasiertes Magazin. Wie wichtig ist für dich als Künstlerin das Internet?

!: Ich bin sehr viel im Netz unterwegs und habe dort schon sehr viele - auch musikalische - Dinge entdeckt. Was mich ärgert, sind die viel zu komplizierten Abrechnungsmodelle für Musik. Das muss sehr viel einfacher werden! In diesem Zusammenhang möchte ich auch erwähnen, dass ich die Copy Control Systems total lächerlich finde.

?: Deine CD ist auch mit einem solchen System ausgestattet - was genau ärgert dich daran?

!: Ich habe meine CD in meinen Macintosh eingelegt, was zu einem Absturz führte - totaler Bullshit!

?: Und warum ist er drauf?

!: Da kann ich gar nichts für. Ich wollte definitiv keinen Kopierschutz, konnte das aber leider nicht durchbringen. Das wird sich aber ändern.

?: Wie willst du das anstellen?

!: In Frankreich gibt es einige Künstler, die meiner Meinung sind und Gegenwind produzieren. Dazu gehören mein Bruder (Benjamin Biolay, Anm. d. A.), Raphaël und M.

?: Themenwechsel: Was für Musik steht im Plattenschrank deiner Eltern?

!: Mozart, Bach, Stravinsky, Wagner und ... Charles Aznavour.

?: Was halten deine Eltern von deiner Musik?

!: Meine Familie ist da jetzt langsam reingewachen, natürlich auch durch die Songschreiberei meines Bruders. Mein Papa fragt mich jetzt immer mal: "Kennst du schon den und den Interpreten?". Das ist cool!

?: Er ist also gerade auf Entdeckungsreise!?

!: Ja, genau. Und er hat anscheinend Geschmack...

?: Letztes Jahr habe ich ein fantastisches Konzert von Juliette Greco erlebt, bei dem sie u.a. auch einen Song deines Bruders dargeboten hat - wo siehst du dich in dreizig, vierzig Jahren?

!: Das zwölfte Album ist unterwegs, der zwölfte Film mit mir wird gerade gedreht. Außerdem habe ich viele Kids in einem großen Haus.

?: Was war dein erstes Konzert als Zuschauerin?

!: Jacques Dutronc!

?: Und das letzte?

!: Arno, der belgische Chanson-Macher.

?: Du bist jetzt auf Promoreise für dein eigenes Album. Nervt es dich sehr, dass du ständig auch auf deinen Bruder angesprochen wirst?

!: Das ist überhaupt kein Problem, ich spreche gerne über meinen Bruder!

?: Ihr versteht euch also gut?

!: Ja, sehr.

?: Kommen wir zu deinem neuen Album: Welches ist dein Lieblingsstück darauf und warum?

!: "Bye Bye Beauté", der Titelsong, weil der so subreal ist und so japanisch angehaucht. Außerdem versteht man nicht so genau, was ich singe - das finde ich schräg. Hat ein bisschen was von Velvet Underground. Ferner mag ich "Kids" und "L'enfer" sehr gerne.

?: Wie kam es denn zu der Zusammenarbeit mit Nada Surf?

!: Wir haben uns über eine gemeinsame Freundin in Paris kennen gelernt. Am Anfang wollte ich mit denen gar nichts zu tun haben, weil die so ein Rock-Band-Image hatten. So mit Saufen, Koks und Party... Das Bild haben sie total widerlegt, als wir uns dann mal getroffen haben. Wir haben uns sofort gut verstanden und nach wenigen Tagen beschlossen, etwas zusammen zu machen. Als ihr Hit "Popular" en vogue war, war ich 14 Jahre alt und habe die Texte noch nicht richtig verstanden. "Let Go" hat mir dann schon gut gefallen und wie gesagt, das Rocker-Image haben sie beim ersten Treffen widerlegt.

?: In deiner Musik erkenne ich mich immer ein bisschen wieder. Ist dieser "emotionale Moment" auch die Schnittstelle zu Nada Surf?

!: Es ist bei mir eher die Musik, als die Texte, die uns verbindet. Das ist aber schwierig zu vergleichen. Natürlich haben Nada Surf einen Fußabdruck auf meinem Album hinterlassen. Uns verbinden aber darüber hinaus ähnliche musikalische Interessen. Die Jungs schauen sich auch in der französischen Musik um. Neulich haben wir uns beispielsweise lange über Françoise Hardy unterhalten. Von ihr haben sie gerade für ein "Starbucks"-CD-Projekt einen Song gecovert - das ist cool! Und umgekehrt interessiere ich mich halt für Rock-Musik...

?: "Bye Bye Beauté" ist ja auch deutlich rockiger als dein entspanntes Debüt, "Salle Des Pas Perdus", das ich übrigens sehr mag. Entspricht dieser Wandel deinem derzeitigen Befinden?

!: "Salle Des Pas Perdus" habe ich ja nicht begraben, ich mag es nach wie vor sehr. Rechnet man die Produktion mit, ist es aber bereits vier Jahre alt und in dieser Zeit bin ich viel gereist und habe mich weiterentwickelt. "Bye Bye Beauté" ist also soetwas wie eine Momentaufnahme. Keine Ahnung, vielleicht lande ich in fünf Jahren auch wieder beim klassischen Chanson!?

?: Wäre es also auch möglich, dass du in besagten fünf Jahren Countrymusik machst?

!: Das glaube ich nicht (sie lacht, Anm. d. A.). Aber wer weiß das schon.
Übrigens ist "Bye Bye Beauté" textlich ja nicht sooo weit von "Salle Des Pas Perdus" entfernt. Es ist nach wie vor Lou Palladium, die Heldin von meinem ersten Album. Sie hat sich halt ein bisschen verändert...

?: Du singst auf Französisch, was viele Menschen in Deutschland nicht verstehen. Wie wichtig sind für dich die Texte?

!: Text und Musik sind gleich wichtig für mich. Das merkt man sofort, wenn ein Musiker besser im Texten als im Komponieren ist oder umgekehrt. Ich versuche, da "einen Floh" draus werden zu lassen.

?: Du kannst für ein eintägiges Festival das LineUp bestimmen. Mit wem würdest du auf einer Bühne stehen wollen?

!: Puh, keine Ahnung... Nina Persson, K's Choice, Vanessa Paradis, M, Raphaël, natürlich mit meinem Bruder, Etienne Daho, Metric, Paul McCartney und Mick Jagger...

?: Ok, ich möchte auf jeden Fall eine VIP-Karte... (wir lachen, Anm. d. A.).
Und mit welchem dieser Künstler würdest du zusammen spielen wollen?

!: Mit Paul McCartney - war nur'n Scherz. Nein, wohl mit Metric - das ist eine kanadische Band, die in Europa übrigens viel zu wenig Beachtung findet!

?: Können wir uns auf eine Tournee in Deutschland freuen?

!: Ich hoffe...

?: Wir auch! Abschließend noch etwas persönliches: Hast du einen Freund? Und wie funktioniert das, wenn du auf Tournee bist? Gibt es soetwas wie "Groupies"?

!: Mein Freund ist immer dabei, er spielt ja in meiner Band. Und genau genommen nerven mich die weiblichen Fans, die ihn anhimmeln...

?: Vielen Dank für das Gespräch!


Nachtschicht - Vol. 01

Review Nachtschicht - Vol. 01

Gesagt, getan. Es ist Sonntagnacht, 02:20 Uhr. Draußen schneit es. Alles ist leise, durch den Schnee kommen sämtliche verbleibenden Geräusche nur noch gedämpft bei mir an. Gleich muss ich mit dem Auto los. 75 Minuten ungefähr - bei gutem Wetter.

Los geht's mit Max Herre vom Freundeskreis und Udo Lindenberg. Besonders. Gut. Sehr sogar. Da vorne geht's auf den Autobahn-Zubringer. Ein Streufahrzeug blinkt mich an und schleudert mir Salz auf die Frontscheibe. Die Straße ist glatt, Dave Hollister begleitet mich sicher.
Stau kurz vor der Autobahn, Faf Larage nervt, ich skippe zum nächsten Track und lande bei Pelham-Zögling Franziska. Gleich geht es auf die freie linke Spur, weiß bedeckt und unbefahren, rechts kriechen LKW hinter Sommerbereiften hinterher. Bei mir geht's mit Bush und dem auch auf einem der Café del Mar-Sampler schonmal aufgetauchten Stück "Letting The Cables Sleep" weiter. Pinkelpause. Der Radio-Nachtsender der Tanke spielt "So Fly" von 213. Ist ok, dennoch bin ich froh, mal meinen iPod zum Einsatz bringen zu können und genieße bei der Entkrampfung Jamiroquai mit "Morning Glory".
Wenig später liegt kein Schnee mehr, ich könnte schnell fahren. Könnte - denn die LKWs haben sich abgesprochen, im 1-km-Abstand kollektiv Überholmanöver durchzuführen. Mir egal, ich bin entspannt und genieße Laurnea ("Been A Long Time") und Sidsel Endresen & Bugge Wesseltoft ("Fifty Ways To Leave Your Lover"). Plötzlich Scheinwerfer im Rückspiegel - ich habe die freie Bahn verschlafen! Tatwaffe von Die Firma und G-Style wecken mich mit "Die Suche" auf und plötzlich fahre ich 180 km/h.
Deborah fliegt mit "L'Amour A La Legere" im Tiefflug fast ungehört an mir vorbei, bevor ich "Time Is Now" von Moloko auf Anschlag drehe. Das anschließende "Wie Du Lachst" von Cassandra Steen passt wunderbar zur entspannten Landstraße, zu deren Gunsten ich soeben die Autobahn verlassen habe. Da vorne - der Zielort: Cam'ron begleitet mich mit seinem "D Rugs" wunderbar durch die Vorstadt. Zu Dead Prez' "Mind Sex" sehe ich das erste Mal seit mehr als einer Stunde wieder Menschen auf der Straße. Beim Einparken in der City läuft "They Won't Go When I Go" von Linda Carriere. 03:45 Uhr ist es mittlerweile.

Gute Musik habe ich auf dem Weg hierher gehört. Die Strecke kenne ich im Schlaf - ich bitte um auditive Fortsetzung!


Françoise Hardy - Tant De Belles Choses

Review Françoise Hardy - Tant De Belles Choses

Liebe Françoise Hardy,

als Zuspätgeborener kenne ich deine Musik noch nicht sehr lange. Das ist zwar einerseits schade, andererseits macht "Tant De Belles Choses" Lust auf mehr. Auf viel mehr, um genau zu sein. Und wenn ich deiner schönen Website [klick] Glauben schenken darf, sind weitere 23 Alben seit 1962 erschienen, die ich nun sukzessiv entdecken kann und werde. Für "Tant De Belles Choses" jedenfalls bedanke ich mich hiermit schon einmal ausdrücklich. Einfach wunderschön, wie du so zerbrechliche Stücke (etwa die fantastischen englischsprachigen, vom Iren Perry Blake komponierten, "Moments" und "So Many Things") darbietest. Oder das aus everybody's darling, Benjamin Biolay, Feder stammende, Bossa-Nova-lastige "À L'ombre De La Lune" oder "Un Air De Guitare" oder oder oder... schlichtweg purer Genuss!

Freunde des Chanson und frankophiler Popmusik werden dir für dieses zeitlose Werk lange dankbar sein. Sehr lange und sehr dankbar.

Herzlichst, dein
 
Ole Cordua


Coralie Clément - Bye Bye Beauté

Review Coralie Clément - Bye Bye Beauté

Die kleine Schwester von Benjamin Biolay geht mit ihrem zweiten Album an den Start, nennt es "Bye Bye Beauté" und liebäugelt mit Nada Surf. Was ist da los?

Wie auf ihrem - zurecht - hochgelobten Debüt "Salle Des Pas Perdus" zeichnet ihr Bruder für einen Großteil der Songs verantwortlich, im Bereich des Songwritings also keine Änderungen. Auch ihre Stimme ist nach wie vor als sanft, fast lieblich zu bezeichnen. Somit scheint Daniel Lorca, der Bassist von Nada Surf, einen entscheidenden Anteil an dem pop-rockigen Zweitwerk zu haben. Nada Surf lernte sie bei einem Konzert in ihrer Heimatstadt Paris kennen und daraus entwickelte sich eine Freundschaft, welche dazu führte, dass Lorca Clément auf ihrer Tournee begleitete und nun schließlich mit "Mais Pourtant" ein Duett mit der Französin für "Bye Bye Beauté" einspielte. Dabei stellt dieser Song vielleicht die deutlichste Hommage an die französische Musik dar, erinnert dieses Duett doch - ähnlich wie die Kombination Biolay/Mastroianni - an Jane Birkin und Serge Gainsbourg. Die restlichen elf Stücke, in denen sich Clément mit zerbrochenen Idyllen ("Beau Fixe"), Höllenqualen ("L'enfer") und sogar Mordphantasien ("Gloria") auseinandersetzt, sind deutlich weniger landestypisch geraten.

Alles in allem ein als sehr gelungen zu bezeichnendes Zweitwerk, welches die Vielseitigkeit der jungen Französin auf angenehme Art und Weise unter Beweis stellt. Etwas anderes dürfte bei dem Bruder wohl auch niemand erwartet haben, oder?


Lemon Jelly - '64-'95

Review Lemon Jelly - 64-95

Schlau, schlauer, Lemon Jelly.

Lemon Jelly sind bekanntlich Fred Deakin und Nick Franglen sind bekanntlich Airside und somit auch gleich eine Design Company in London [klick]. Nach ihrem hochgeschätzten CD-Debüt "Lost Horizons" legen die Gestalter nun mit "'64-'95" ihr Zweitwerk vor. Dieses beinhaltet zehn Stücke, welche den eingeschlagenen Pop-Downbeat-Weg weiter verfolgen. Erneut können Lemon Jelly mit ihrer entspannt-fröhlich-trippigen Mischung, welche Samples aus der Titel-Zeitspanne beinhaltet, musikalisch überzeugen und dürften geneigten Hörern durchaus ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern in der Lage sein - und das nicht erst mit der ersten Auskopplung "Stay With You" (Track 07) oder dem abschließenden "Go", gesprochen von William Shatner, auf dessen wunderbarer letztjährigen Veröffentlichung, "Has Been", sie ebenfalls vertreten waren.
Wie nicht anders zu erwarten, stellt das Artwork wie schon beim Vorgänger erneut einen Höhepunkt im Wust der Veröffentlichungen dar.

Als i-Tüpfelchen erscheint "'64-'95" in Form einer DVD, welche die zugehörigen Videoclips, die beim Musikfernsehen vermutlich keine Chance auf Sendung haben, gleich mitliefert. Die liebevoll animierten Filme wurden von verschiedenen Menschen der Hausagentur konzipiert und umgesetzt. Herausgekommen sind dabei zehn kleine Kunstwerke, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Und dies ist auch der Grund für meine Einleitung. Denn was könnte schlauer sein, als sich mit seinem Lieblingsthema, der Musik an sich, auseinanderzusetzen und im Rahmen ihrer Veröffentlichung auch noch ein kleines Agentur-Portfolio mit an den Mann zu bringen? Diese kluge Kombination hat ja Underworld und Tomato auch schon nicht geschadet und den Käufern ob des audiovisuellen Hochgenusses schon mal gar nicht.
Übrigens erscheint "'64-'95" zeitgleich zum im-Auto- oder auf-dem-iPod-hören auch als CD.

Kauft euch frische Blumen. Lehnt euch zurück. Habt Spaß. Und genießt Lemon Jelly.


Apocalyptica - Apocalyptica

Review Apocalyptica - Apocalyptica

"Klar, es ist natürlich cool, sehr schnelle Heavy-Metal-Riffs zu spielen, aber auf diesem Album wollten wir wirklich die Qualität des Cellos hervorheben, die besten Töne und Strukturen erschaffen, und das hieß, etwas anders als bisher an die Sache ranzugehen. Auf 'Reflections' gab es drei langsamere Songs und der Rest war ziemlich schnell. Auf dem neuen Album ist die Stimmung eher atmosphärisch... und groove-orientierter. Ich würde auch sagen, der emotionale Sog ist stärker."
Sagt Eicca Toppinen. Und der sollte es wissen.

Recht hat er zwar - dass jedoch ausgerechnet Him-Front-Heulboje Ville Valo sich auf der ersten Single-Auskopplung mit The Rasmus-Sänger Lauri Ylönen ein Duell liefern darf, dürfte die Gehörgänge der Radiohörer in eine nicht auschließlich positive Richtung verzerren. Beinhaltet das 51-minütige selbstbetitelte Output der Finnen doch zehn weitere Eigenkompositionen, die süchtig zu machen durchaus in der Lage sind. Und zwar nicht nur die eingangs erwähnten atmosphärischen Stücke wie "Quutamo", "Misconstruction", "Farewell" oder "Ruska", sondern eben auch und insbesondere die Feuerwerke abbrennenden Treiber "Distraction", "Fisheye" und allen voran "Betrayal/Forgiveness". Bei letzterem saß übrigens mal wider ein gewisser Herr Lombardo von Slayer am Schlagzeug...

Alles in allem erneut ein gutes Werk von Apocalyptica, der Band, die mal Metallica gecovert hat. 1996 war das. Jetzt ist 2005!